Da mich das Thema schon länger umtreibt, möchte ich dazu auch nochmal einige Gedanken loswerden.
Das zentrale Ziel von kostenlosem ÖPNV ist die Reduzierung des Pkw-Verkehrs. Vergessen werden darf aber auch nicht das Thema der Gerichtigkeit. Es gibt seit längerem eine Debatte um die Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit in der Mobilität. Stichwort: Exklusion. Mit dem kostenlosen ÖPNV wird hier das Ziel verbunden, einzelnen Bevölkerungsgruppen Mobilität zu ermöglichen, die ihn sich aktuell nicht leisten können.
Die Frage ist nun, ob kostenloser ÖPNV ein sinnvolles Instrument ist, den Pkw-Verkehr zu reduzieren und die Gerechtigkeit in der Mobilität zu erhöhen.
Es gibt einige gute Argumente, die der Verlagerungswirkung vom Pkw widersprechen. In den Verdichtungsgebieten reichen die Kapazitäten, gerade in der HVZ (Hauptverkehrszeit), schon heute nicht mehr aus. Ohne hohe Investitionen in die Infrastruktur und den Betrieb lässt sich kein wsentlicher Teiler vom Pkw auf den ÖPNV verlagern. Diese Kapazitäten stehen aber erst langfristig zur Verfügung. Folglich stünden hohe Fehleinnahmen bei den Tickets (HVV beispielsweise 785 Mio.€ in 2015) sehr hohe Investitionsbedarfe gegenüber. Zu vernachlässigen ist auch nicht die Richtung der Verlagerung. Es gibt eine umfassende Diskussion über die Kanibalisierung zwischen ÖPNV, Rad- und Fußverkehr. Wenn man sich sowohl in Deutlschland als auch im europäischen Ausland umsieht, wird man feststellen, dass es nur sehr wenigen Städten gelingt, den Anteil des Pkw-Verkehrs an der Gesamtnachfrage auf deutlich unter 40% zu drücken. Wien ist beispielsweise vorbildlich im ÖPNV-Ausbau, hat gleichzeitig aber auch einen sehr geringen Radverkehrsanteil. Es bestünde die erhebliche Gefahr, dass insbesondere Verkehre vom Rad- und Fußverkehr auf den ÖPNV verlagert werden. Vergessen darf man in diesem Zusammenhang nicht die Systemvorteile des Pkw. Flexibilität, Komfort, geringe Reisezeiten, Sicherheit, Statusdenken etc.. Unter Kostengesichtspunkten lässt sich schon heute häufig keine Pkw-Nutzung rechtfertigen. Die anderen Systemvorteile ließen sich nur mit erheblichen Investionen in den ÖPNV minimieren.
Ohnehin ist es reines Wunschedenken, dass eine Reduzierung des Pkw-Verkehrs zu wensentlich geringeren Investitionsbedarfen in diesen Bereichen führen. Zumal auch heute schon von einer Unterfinanzierung des Straßen gesprochen wird, nicht zu unrecht.
Anders ist die Situation in ländlichen Räumen und auch in einigen Ostdeutschen Städten. Dort stehen mitunter erhebliche Kapazitäten zur Verfügung. Auf dem Land ist das Problem jedoch häufig, dass es, abgesehen von den Schulbusverkehren, gar keinen ÖPNV mehr gibt. Auch hier sind erhebliche Investitionsbedarfe vorhanden. Auf dem Land sieht man übrigens schon heute, wie geringe Fahrgeldeinnahmen (Kostendeckungen mitunter deutlich unter 40%) das ÖPNV-Angebot negativ beeinflussen. Zumal sich gerade in ländlichen Räumen die Systemvorteile des Pkw gegenüber den ÖPNV nur schwer ausgleichen lassen.
Mein letzter Punkt sind die sogenannten angebotsinduzierten Verkehre. Also eine Verkehrsnachfrage die erst aufgrund eines bestimmten Angebotes entsteht. Hier bestünde das Angebot in den abgesenkten Kosten. Diese angebotsinduzierten Verkehre sind nur dann erwünscht, wenn sie der Realisierung einer notwendigen Mobilität dienen, die zuvor allein aufgrund fehlender finanzieller Möglichkeiten nicht realisiert werden konnte. Es werden aber vor allem auch zusätzliche Wege erzeugt, die nicht unbedingt notwendig sind aber auch ihrerseits wieder Kapazitäten verschlingen. Auch der ÖPNV hat negative externe Effekte. Geringere als beim PKW, aber sie sind vorhanden: Lärm, Flächenverbrauch, Umweltverschmutzten (Verstromung, Verbrennungsmotoren etc.). Auch ÖPNV ist kein endloses, wertloses Gut.
Versteht mich nicht falsch, natürlich bin ich für eine umfassende Förderung des ÖPNV. Und insbesondere sollte der Pkw-Verkehr reduziert werden. Doch halte ich kostenlosen ÖPNV hier für ein ungeeignetes Mittel, welches erhebliche Fehlanreize setzen würde. Nichts spricht gegen deutlich höhere Investitionen in den ÖPNV und hier insbesondere in die Schiene. Auch Umweltzonen und eine Sanktionierung des Diesels kann ich mir gut vorstellen. Langfristig ist beispielsweise eine integrierte Siedlungsentwicklung wünschenswert und die Weiterentiwkclung flexibler ANgebote on ländlichen Raumen und insgesamt die Förderung dieser Räume.
Kommen wir kurz zum zweiten Punkt, der Gerechtigkeit. Ja, es gibt Haushalte, die von kostenlosem ÖPNV profitieren würden. In ländlichen Räumen aber nur dann, wenn das Angebot erheblich verbessert werden würde. Ohne diese Verbesserung wäre kostenloser ÖPNV wirkungslos, da ein fast nicht vorhandenes Angebot kostenlos werden würde.
Doch wie sieht es in den Städten aus? Das hochwertigste ÖPNV-Angebot besteht aktuell in den Zentren deutscher Großstädte. Also genau dort, wo sich zunehmend sehr zahlungskräfte Haushalte ansieden die schon heute häufig kein eigenes Auto haben. Muss man diesen Haushalten noch kostenlosen ÖPNV zur Verfügung stellen? Nein. Es gibt in den Städten einen erheblichen Verdränungswettbewerb der sich eher noch verschärfen würde, wenn man die ohnehin attraktiven WOhnlagen zusätzlich 'subventionieren' würde. Mal ganz zu schweigen von der deutlichen Übervorteilung städtischer Gebiete im Vergleich zu ländlichen Räumen.
Auch hier sehe ich wieder erhebliche Fehlanreize.
Alternativ denkbar wäre beispielsweise die Erweiterung von Sozialtickets, ein Anheben der Hartz4 Regelästze (Anteil Mobilität!), Einfrieren der Fahrgeldeinnahmen, wesentlich geringere Fahrpreise zu Schwachlastzeiten etc.
Und bei all der Vorbildunktion der Schweiz (zu Recht!) darf man nicht übersehen, dass es sich hier um einen Sonderfall handelt. Ein wirtschaftlich sehr starkes Land mit einem hohen Anteil an gebündelten Transitverkehren. Doch wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus, wer kann da noch wirklich eine Vorbildunkmfion übernehmen und lässt sich mit Deutschland vergleichen? Meinetwegen Frankreich. Dort überstrahlt das HGV-Netz jedoch alles. Im Güter- und Regionalverkehr sieht es dort auch nicht rosig aus. Dito Spanien, nur noch deutlich ausgeprägter.
Und ich sehe auch nicht, dass sich unsere Bevölkerung zum Büddel der 'Pkw-Lobby' machen lässt. Die, nicht zu vergeseen, auch nur darum so mächtig ist, weil sie der wichtigste Industriezweig Deutschlands ist und im Ausland als sinnbildlich für die deutsche Ingenieurskunst gilt. Das macht den Abgasskandal auch gesamtwirtschaftlich so gefährlich. Dazu kommen, wie gesagt, die starken Systemvorteile des Pkw gegenüber dem ÖPNV. Schiebt man den Status quo auf die Pkw-Lobby macht man es sich aus meiner Sicht deutlich zu einfach. Und auf dieser Basis wird man nur schwer Konzepte entwickeln können, die mehrheitsfähig und wirtschaftlich sind und gleichsam die notwendige Verkehrswende einleiten.